Interview mit Cyrill Schläpfer über die Waldstätte

Von Christian Hug für Luzerner Woche, 29. Januar 2008
Was ist das Schöne am Klang eines Dampfschiffes?

Ich bin hier in Luzern aufgewachsen. Das bedeutet, dass Schiffshörner zur Klangkulisse meiner Jugend gehörten. Ich mochte und mag diese Töne genauso wie Kuh- und Kirchenglocken oder Vogelgezwitscher. Für mich sind das vertraute Töne, mit denen ich Heimat definiere. Klänge sind wie Düfte und Farben oder die Silhouette eines Gebirgspanoramas: Das alles hat ganz bestimmte Wiedererkennungseffekte für alle. Und das macht Heimat aus.

Demnach hätten Sie auch Parfümeur oder Maler werden können. Warum haben Sie sich ausgerechnet für den Klang entschieden?

Das weiss ich nicht. Mein erstes Aha-Erlebnis war, als ich im Bubenalter eine Tambourengruppe hörte und dachte: Das will ich auch. Aber das ist ja nichts Aussergewöhnliches. Ich habe keine familiäre Prägung oder Vorbelastung. Mein Vater war Maschineningenieur, meine Mutter war Hausfrau und mein Bruder ist Gewerbeschullehrer... Aber ich habe gemerkt, dass man sehr präzise in einen Klang hineinhören kann: Der Pfiff zum Beispiel der «Schiller» verändert sich je nach dem, ob es Frühling ist oder Herbst, ob es Nebel hat oder Sonne, ob es Morgen ist oder Abend: Ihr Pfiff ist eine dauernde Abfolge von Nuancen. Alle zusammen ergeben ein Gedicht.

Ein Gedicht?

Ja, im wörtlichen Sinn von verdichtet! Der Pfiff der «Schiller» ist so kurz, aber er beinhaltet ein ganzes Universum.

Um auf die vorhergehende Frage zurückzukommen: Sie lernten also das Trommelspiel und wurden als Teenager in der Luzerner Punkszene aktiv...

...nicht ganz: Ich spielte schon 1972 mit zwölf in meiner ersten Band, Punk und die ganze Sedel-Bewegung kamen erst später.

Dann kam also die Punkbewegung, zwischendurch studierten Sie in Boston Schlagzeug, trommelten dann wieder in Luzern in Sedel-Bands und verdienten Ihre Brötchen als Musikproduzent. 1989 begannen Sie an der Arbeit für Ihren Ländlerfilm «UR-Musig». Wie vollzog sich dieser doch auffällige Wechsel von Rock zu traditioneller Volksmusik?

Der ergab sich aus einer Kombination mehrerer Umstände: Das Älterwerden, Auslandaufenthalte, meine Freude am Wandern, meine Berufswahl zum Musikproduzenten... Durch das Tambouren-Spiel bewegte ich  mich natürlich in heimatnahen Kreisen... Dann kam die ersten Begegnungen mit dem Schwyzerörgeler Rees Gwerder... Entscheidend war auch die Erfahrung, dass der Schlagzeuger im Zuge der Modernisierung in der Musik der erste war, der durch einen Computer ersetzt wurde.

Sie wurden quasi wegrationalisiert...

Das kann man so sagen. Und das könnte man natürlich negativ sehen. Aber ich dachte mir damals: Dann muss ich mich halt nach etwas anderem orientieren – was ich aus heutiger Sicht, da ich Schwyzerörgeli spiele, das Beste finde, was mir passieren konnte 

Warum?

Weil ich mit dem Schwyzerörgeli bis ins hohe Alter problemlos live auftreten kann. Als Greis in einer Rockband Schlagzeug zu spielen, wäre schon bedeutend schwieriger.

Dann halten sie nichts von alternden Rockstars wie den Rolling Stones und Polo Hofer?

Ich vergleiche die mit Rees Gwerder: Das sind im Grunde Traditionalisten, die auf ihrem musikalischen Fundament stark und solid geworden sind und diesem Fundus ein Leben lang treu geblieben sind. Wäre Polo Hofer jedem Trend gefolgt, wäre er heute vielleicht Avantgarde-Elektronik-Musiker, und das wäre eher seltsam.

Heisst das, dass man aufs Alter grundsätzlich Traditionalist wird?

Nein, natürlich muss es das nicht zwingend heissen. Man kann auch im Alter für Neues interessiert bleiben. Aber irgendwann muss man nicht mehr jeden Trend mitmachen.

Nach ihrem Kinofilm «UR-Musig» 1993 veröffentlichten Sie unter anderem eine Reihe von CDs mit Naturgeräuschen und Kuhglocken. Jetzt folgt die Dampfschiff-Sinfonie. Ist «Die Waldstätte» eine logische Konsequenz ihres Drangs, Heimat mit Ihrer Arbeit zu verbinden?

Ja, ganz bestimmt...

Und was treibt Sie an, Heimat auf Ländler, Länder auf Klang und Klang auf die 100 Klangvariationen eines Dampfschiffes zu erweitern?

(studiert lange) Ich habe manchmal das Gefühl, ich sei von einem Teufel geritten: Ich muss das einfach tun.

Als «Die Waldstätte» letzten Dezember erschien, wollten Sie keine Interviews geben. Sie seien zu erschöpft, sagten Sie. Müssen Sie immer bis zur totalen Erschöpfung an einem Projekt dranbleiben?

Ja. Aber nicht freiwillig. Ich muss mit Disziplin und Ausdauer ein Projekt zu Ende führen. Das ist, was ich gut kann.

War «Die Waldstätte» von Anfang an als dermassen grosses Projekt angelegt?

Nein, das hat sich nach und  nach ergeben. 1996 habe ich aus Freude an all den Huptönen der Schiffe mit den Aufnahmen angefangen. Aber die waren qualitativ nicht gut genug, und überhaupt waren da viel zu viele Nebengeräusche drauf.  Also begann ich nochmals von vorne. Nach und nach wuchs die Klangsammlung, was zur weiteren Aufgabe führte, all die Aufnahmen in eine Form zu bringen. Im Verlauf des Ordnens wurde mir immer mehr bewusst, dass all die Geräusche nicht nur Klänge sind, sondern eine musikalische Qualität haben. Dass sie, richtig zusammengestellt, klingen können wie ein Lied. So wurde ich zum Forscher, der etwas Erstaunliches entdeckt und das der Welt mitteilen will.

Wissen Sie, wie viele Kilometer Sie für die «Waldstätte» auf den fünf Dampfschiffen gefahren sind?

Keine Ahnung. Aber alles in allem hat mich dieses Projekt etwa den Gegenwert eines Einfamilienhauses gekostet.

Sie wollten mit der Schiffahrtsgesellschaft Vierwaldstättersee in der Vermarktung Ihrer DVDs und CDs zusammenarbeiten, was dann aber nicht geklappt hat.

Die SGV, die Kapitäne und die Mannschaften waren sehr kooperativ im Zusammenhang mit meinen Tonaufnahmen und dem Bildmaterial, aber als ich nach 11-jähriger Arbeit voller Stolz mein fertiges Werk vorstellte bekam ich zu hören: «Die Geschäftsleitung ist leider zu beschäftigt, um Ihr Werk anzuhören, wir sind viel beschäftigte Manager.» Das war und ist deprimierend. 

Aber ein klingendes Andenken an die weltberühmten Dampfschiffe ist doch ein wunderbares Marchandising-Produkt für ein Tourismusunternehmen wie die Schiffahrtsgesellschaft Vierwaldstättersee ?

Natürlich! Denn an unserem Vierwaldstättersee wurde quasi der Tourismus von den Engländern überhaupt erst erfunden...

Das ist ziemlich unverständlich.

Ich kann es mir auch nicht erklären...

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