Eine Art Musikkonservator

von Bernhard Sutter für 'Tages Anzeiger' 30. April 2001

 

Ob Älplerakkustik oder Pophit, Musikproduzent Cyrill Schläpfer lässt Töne nicht in Vergessenheit geraten. Diese Woche erscheint die 33.CD.

 

Das Schaufenster an der Dienerstrasse will nicht recht ins Milieu hier passen. Uralte Werbetafeln für Jodelmusik stehen neben kartonenen Popstars. Es ist das Schaufenster der Plattenfirma CSR-Records und drückt die Breite der Interessen ihres Gründers Cyrill Schläpfer aus.

Der 41-jährige Musiker - vor 15 Jahren aus der Innerschweiz in den Kreis 4 gekommen und mit dem Musikfilm "Ur-Musig" bekannt geworden - bearbeitet drei unterschiedliche Richtungen: Ländler, akustische Klangwelten, Schweizer Pophits. Erstere produziert er im eigentlichen Sinn, die zweiten nimmt er persönlich auf, die Hits schliesslich stellt er zu Samplern zusammen.

Er holt die Musik aus dem Packeis

Ein solcher kommt diese Woche in die Plattenläden: "Swiss Kult Hits 2" legt Wavehits aus den 80ern von Zürcher Künstlern wie Liliput, Rams, Grauzone, The Real Popes oder Stephan Eicher neu auf - mit dem berühmten Bild von Zürich im Packeis. Einige dieser Hits erfahren so erstmals wirkliche Öffentlichkeit: Betrug die Auflage damals 500, ist es nun ein Vielfaches. Schläpfer trifft immer wieder den Geschmack vieler Musikliebhaber.

Das ist erstaunlich. Denn wie ein Mann, der Konzessionen an den Massengeschmack macht, wirkt er nicht. In seinem Einmannbetrieb stehen überall seltsame Sammelstücke herum, Stumpenplakate oder Marienbilder etwa. Schläpfer sitzt zwischen Kartons mit auslieferbereiter Ware, raucht, spricht von seinem einzigen Auswahlkriterium ("Was mir persönlich gefällt.") und von weiteren, nicht eben alltäglichen Projekten (eine Sinfonie aus Dampfschiffgeräuschen).

Der Hintergrund von Schläpfers Tonidealen ist traditionell. Der in Luzern aufgewachsene Ingenieursohn war Tambour. Das Trommeln an Umzügen und Schlachtenfeiern hat ihn geprägt. So ist nicht erstaunlich, dass er Rees Gwerders Schwyzerörgelimusik oder auch Kuhglockengebimmel herausgibt.

Der Rhythmus der Stöckelschuhe

Sein verrücktestes Projekt jedoch ist eine Doppel-CD - mit Stille. Mit hochsensiblen Mikrofonen hat er nächtelang in einer mexikanischen Geisterstadt das Nichts eingefangen. Nun muss er diese stundenlangen Aufnahmen auf zweimal 75 Minuten komprimieren. Das bereitet ihm Mühe, weil die Stille am Anfang der Nacht eine andere sei als die vor dem Morgengrauen.

Schläpfer ist musikalischer Profi. Der ausgebildete Schlagzeuger hat einen Abschluss des renommierten Berklee College of Music in Boston. Über seine Musikalität hinaus scheint er aber auch über einen ausserordentlichen Hörsinn zu verfügen. Schläpfer hört Musik, wo andere sich bloss nerven, etwa beim Klappern der Prostituiertenstöckelschuhe auf dem Trottoir vor dem Firmensitz.

Ständig klingelt das Telefon, der Produzent muss jedesmal die Arbeit unterbrechen, eine Sekretärin hat er nicht. Schläpfer arbeitet nicht so gerne im Team. Am glücklichsten sei er, wenn er alleine an seinen Projekten werkeln könne, sagt er. Hier liegt auch die Motivation für sein Tun: Er will im wahren Sinn Kunstwerke erschaffen, und das sind in der Ton- und Musikwelt eben CDs.

Mit seiner Arbeit konserviert Schläpfer aussterbende Töne, sei es die Akkustik der Älpler oder in Vergessenheit geratene Schweizer Pophits. Bisher war die Mission erfolgreich. Über 70 000 Leute haben "Ur-Musig" gesehen, zudem hat Cyrill Schläpfer massgeblich dazu beigetragen, dass die Zürcher Band Taxi ("Campari Soda") wieder am Radio gespielt wird.

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