Eine unternehmerische Vision aus Tönen und Bildern
von Peter Stöckling für 'Boom' 6/1999
Als Alleinunternehmer behauptet der Musikproduzent Cyrill Schläpfer seit zehn Jahren seinen Platz im Musikgeschäft. Seine Spezialitäten sind traditionelle schweizerische Volksmusik und Klangerlebnisse aus Natur und Umwelt, seine Erfolgsrezepte sind Beharrlichkeit, Konsequenz und eine klare unternehmerische Vision.
Er sei alles andere als ein «Vorzeigeunternehmer». So relativiert Cyrill Schläpfer mehrmals im Lauf des Gesprächs. Das mag allenfalls auf den ersten Blick stimmen, wenn wir die Branche nehmen, in welcher der 40-jährige Luzerner seine Nische behauptet: Als Musikproduzent mit den Schwerpunkten «authentische Volksmusik und «Klanglandschaften aus der Natur» surft er weder auf einem der allerneuesten Trends noch bearbeitet er einen Massenmarkt. Trotzdem ist seine Geschäftsidee einigermassen aussergewöhnlich. Denn der Mann, der da kürzlich an einem Herbstabend an einem Schweizer See seine Mikrofone aufgebaut hat, ist mehr als ein angefressener Tonjäger. Er hält charakteristische Töne und Geräusche fest - eine seiner «Klanglandschaften», als akustisches Pendant zu bekannten Bildern. Hinter diesem Tun steckt eine unternehmerische Vision, im konkreten Fall ein CD-Projekt der ganz besonderen Art: Musikproduzent Cyrill Schläpfer plant eine virtuelle Tonreise. Wohin diese führt, kann er nicht verraten: Nicht nur Töne, sondern auch Ideen werden bisweilen geklaut. Ein weiteres Kriterium, das Schläpfers zurückhaltende Selbsteinschätzung widerlegt, ist sein ausserordentliches unternehmerisches Durchhaltevermögen. Die CSR Records besteht seit immerhin zehn Jahren, und ihr Programm umfasst inzwischen über 20 Titel (siehe Kasten). Organisiert ist sie nach wie vor als Einzelfirma.
«Ur-Musig» - Bilder einer Schweiz, die es (fast) nicht mehr gibt Seinen grossen, nachhaltigen Auftritt in der öffentlichkeit hatte Schläpfer 1993 mit dem Film «Ur-Musig»: Bilder, vor allem Bilder, Musik und Töne aus einer Schweiz, von der viele spürten, dass sie wohl nur noch auf Zeit besteht. Das allerdings kam ohne aufgesetzten Kommentar daher: Sehen, hören - und dabei Höhepunkte wie auch Brüche selber erspüren. Dieses Erfolgsrezept hat damals ein Publikum angesprochen, das weit über den Kreis der traditionellen Volksmusikfreunde reichte: «Ur-Musig» war besonders auch in den Städten ein absoluter Dauerläufer - in Zürich etwa wurde der Film mehr als zweieinhalb Jahre lang als Sonntagsmatinee in einem grossen Kino gespielt. Hinter dem Film steckte neben der inhaltlichen Aussage auch sehr viel Ausdauer: Die Finanzierung mit Hilfe der staatlichen Filmförderung musste über mehrere Anläufe erkämpft werden. Und doch: «Dass ich 'Ur-Musig' machen wollte, war für mich gar keine Frage. Die Töne ohne die Bilder - das hätte einfach nicht gestimmt.» Der Erfolg beim Publikum und zahlreiche Einladungen an ausländische Festivals haben diese überzeugung bestätigt. Dass für Schläpfer der Film als Medium so nahe lag, hat damit zu tun, dass er schon vorher neben einer Reihe unveröffentlichter Kurzfilme von 1975 bis 1989 (Beginn der Arbeit an «Ur-Musig») bereits zahlreiche Dokumentar- und Experimentalfilme gedreht hat.
Mexikanische Töne, die das Ohr eigentlich nicht hören kann Vor und nach «Ur-Musig» hat Schläpfer jedoch bei praktisch allen Projekten auf staatliche oder private - Mittel verzichtet und sie selber finanziert. Diese Unabhängigkeit erlaubt es ihm, sich auch auf Abenteuer einzulassen. «Morgeluft» gehört dazu, auch die CD-Reihe «Glüüt» mit dem nächtlichen Gebimmel auf Verschiedenen Alpen, das auch dem Zuhörer ein sehr spezielles Hörerlebnis von beruhigender Harmonie bietet. Oder das Projekt, das Cyrill Schläpfer zurzeit beschäftigt: Die Töne einer mexikanischen Nacht, aufgenommen auf 3000 Meter Höhe in einer verlassenen Geisterstadt, «einem für verschiedene Kulturen magischen Ort, in dem es Reste von Kultstätten und Kirchen gibt, aber auch eine Goldmine, welche die spanischen Könige in der Kolonialzeit betrieben». Die Aufnahmen hat er in einem Luzerner Tonstudio vorbereitet, an der endgültigen Form feilt er in Mexiko. Dieses Land hat er kennen gelernt, nachdem er 1997 den Werkpreis der Stadt Zürich erhalten hatte. Dort traf er auch den Erfinder und Klangtüftler Ariel Guzik, der mit einem speziell erfundenen Instrument Töne hörbar machen kann, die eigentlich ausserhalb des menschlichen Hörbereichs liegen. Auf der von CSR importierten CD «Plasmaht - der Klang des Kaktus» sind diese «seltsamen Klänge» (Schläpfer) zu hören, für seine «mexikanische Nacht» will er das Verfahren allenfalls auch verwenden: «Was daraus wird, weiss ich noch nicht - auf jeden Fall wird es spannend!» Nur: Auch während der Abwesenheit des Alleinunternehmers muss die Firma in der Schweiz weiter laufen. So findet halt im Januar die Taufe der neuesten CD von CSR ohne C.S. statt: «Das reut mich sehr, denn auch das ist eine besondere Produktion: Walter Alder, einer aus der bekannten Appenzeller Volksmusikdynastie, spielt mit argentinischen Jazzmusikern. Und am Premierenanlass musizieren drei Generationen der Familie Alder gemeinsam." Aber eben, Mexiko und Appenzell gleichzeitig liegen einfach nicht drin, so lange und intensiv Schläpfer auch arbeitet - übrigens noch ein Kriterium, das ihn als Jungunternehmer ausweist ... Die weniger spektakulären Arbeiten, die auch zur Geschäftstätigkeit der Firma gehören, bleiben dann liegen und erhöhen den Pendenzenberg. Schläpfer weiss, dass das unternehmerisch gesehen keine ideale Situation ist. Das gilt nicht nur für einen längeren Auslandaufenthalt: Auch wenn er während ein paar Wochen für eine neue Produktion ein Tonstudio mietet, muss der Produzent dort jede Minute nutzen. Dem Unternehmer bleibt dann nur noch der Abend, um an der Dienerstrasse in Zürich der Geschäftsadresse von CSR - das zu machen, was auch erledigt sein will und muss. Schläpfer ist nicht nur der kreative Kopf der Firma, er ist die Firma: die Administration, das Rechnungswesen, die Promotion und vor allem auch der Vertrieb. Dafür gibt es durchaus eine Begründung: «Der Markt ist einfach zu klein, als dass ich mir hohe Fixkosten erlauben könnte. Zudem finanziere ich alle meine Produktionen im Voraus, aus dem was frühere CDs einspielen, und nicht aus dem was das Projekt selber dann einbringen wird.» Wenn er für den Lohn von Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern aufkommen müsste, hätte das zwangsläufig Einschränkungen der Unabhängigkeit zur Folge. Wlas sich Cyrill Schläpfer allerdings Vorstellen könnte, wäre eine Partnerschaft, die (neben anderen Vorteilen) die konstante Präsenz sichern würde. Der ohnehin kleine Markt - der im Wesentlichen nur in der Schweiz vorhanden ist - steht zudem stark unter Druck: Produktionen wie diejenigen von CSR finden ausserhalb des Hitparadenrummels statt und sind auf den Fachhandel, vor allem auf grössere Geschäfte mit einem relativ breiten Angebot und einer fachkundigen Bedienung angewiesen. Das Geschäft verlagert sich immer mehr zu Grossverteilern - Spezialgeschäfte haben derzeit keinen leichten Stand.
Das Musikgeschäft von Grund auf kennen gelernt Auch das vertragliche Verhältnis zwischen dem Produzenten und den Musikern ist immer wieder Verschieden, entweder ist er nur Produzent, allenfalls auch Verleger. In diesem Fall partizipiert er auch an den Royalities, die seine Produktionen einbringen. Schläpfer kennt dieses Geschäft von Grund auf: Er hat nach der Matura und einem Gastspiel als Architekturstudent 1982 bis 1985 in den USA ein Musikstudium absolviert sowie eine Ausbildung als Produzent gemacht. Zurück in der Schweiz arbeitete er in Tonstudios, als Radioredaktor und A&R Manager bei einem grossen Plattenkonzern. Er wusste also sehr genau, auf was er sich mit dem Schritt in die Selbstständigkeit in diesem Business einlassen würde. Er bereut es auch nicht. Dass er es trotzdem getan hat, hat mit einem Schritt, einem Bruch, wie er heute sagt, in seiner parallelen Karriere als aktiver Musiker - die er immer auch gepflegt hat -zu tun. Schon früh hat er in Rumänien Cymbal und im Appenzellerland Hackbrett studiert, später war er mit dem Schlagzeug auch als Profi unterwegs. «Mit dem Schlagzeug war ich immer auf eine Band angewiesen. Ich wollte aber auch für mich allein musizieren können - so stiess ich auf das Schwyzerörgeli.» Als Perfektionist wollte er sich jedoch nicht mit autodidaktischen Fingerübungen zufrieden geben, sondern das Instrument wirklich beherrschen. Als Lehrer suchte er sich den wohl Besten aus - Rees Gwerder.
Rees Gwerder - eine Begegnung, die seine Karriere prägte Die Begegnung mit Gwerder hat Schläpfers Karriere wohl entscheidend geprägt, ohne Gwerder wäre «Ur-Musig», wohl nie in dieser Art entstanden. 1989, während Schläpfer gleichzeitig in Arth Schwyzerörgeli spielen lernte, verbesserte er sich in Urnäsch bei Walter Alder auf dem Hackbrett: noch eine grosse Persönlichkeit aus der Volksmusik. Diese hat ihn seither nicht mehr losgelassen: 1989 gründete er die Plattenfirma CSR. Ein Vorzeigeunternehmen? Eines auf jeden Fall, das zeigt, wie sich eine unternehmerische Vision konstant, konsequent und erfolgreich durchhalten lässt. |