MARTIN NAUER
Der bescheidene Meister 1918 - 2007
Ein Leben für die Musik und das Nussbaumer Schwyzerörgeli
Martin Nauer, ein bescheidener und zurückhaltender Mensch, hat das Rampenlicht nie gesucht und somit war er der breiten Öffentlichkeit nicht so bekannt. Er hat der heutigen Volksmusikergeneration ein unermesslich wertvolles Kulturgut bewahrt und hinterlassen. Keine Aufnahmen, keine Notenschriften und keine Dokumentationen können ersetzen, was der Stegreif Musikant Nauer überlieferte. Er hat die Kompositionen, die Tänze, Spielweise (Technik) und den „Gout“ der Schwyzerörgelipioniere der Jahrhundertwende in direkter Linie tradiert. In den 40er Jahren spielte er zusammen mit Balz Schmidig. Dank seinem kaum nachvollziehbaren analytischen Gehör und der Liebe zum Detail hat Nauer als 24jähriger Musikant das Werk seines Lehrmeisters in sich aufgesogen, und zwar 1:1. Schmidig, zusammen mit Joseph Stump, erfanden und entwickelten, ausgehend von der damaligen populären Tanz-, Schlagermusik, einen neuen Stil und eine virtuose Spieltechnik, die stark in die regionale Volksmusik eingebettet war. Als Duo spielten sie die mit ausgefeilten Verzierungen und stets ändernden Variationen versehenen Tänze in horrendem Tempo, so dass feine Details kaum je aus den alten Aufnahmen herausgehört werden könnten. Nauer hat sich ihr Repertoire und Spieltechnik angeeignet und in gleicher Brillanz vorgetragen.
Der bekannte Harmonika Stimmer
Mit seinem absoluten Musikgehör, seiner exakten und sorgfältigen Arbeitsweise und seiner langen Erfahrung war er während Jahrzehnten in Musikantenkreisen als einer der besten Handharmonikastimmer bekannt. Nur Insider können ermessen, wie viel Erfahrung, Feinheiten und Entscheidungen im Stimmen liegen, damit die diatonische Handharmonika lieblich und wohltemperiert erklingt: Ein warmer Klang und trotzdem kräftig und durchdringend, die optimale Balance zwischen Ziehen und Stossen, die feinen Nuancen in der leichten Dissonanz der Stimmzungen (Chöre) in perfekter Ausgewogenheit über die verschiedenen Oktaven. Das ist ein Handwerk, das nicht mit einem elektronischen Stimmgerät zu bewerkstelligen ist, dazu muss man das Instrument ‚lieben’. Zur Beschreibung hilft hier ein englisches Wort: Nauer war ein echter ‚craftsman’, eine Mischung aus Handwerker mit hoher Fertigkeit und Künstler. Weit über 5000 Schwyzerörgelis, Handharmonikas und Akkordeons gingen in Nauers winziger Schuhschachtel-Werkstatt ein und aus. Hier wurden sie nicht nur gestimmt, sondern auch neu geledert, die Stimmen geputzt und generell revidiert, am Ende verliessen sie die „Boutique des Örgelidoktors“ als Juwele. Das Wissen und die Erfahrung, die er sich im Laufe der vielen Jahre selber angeeignet hatte, gab er gerne an seine Nachfolger weiter. Neben anderen wurde Albert Marty aus Arth von ihm eingeführt, welcher heute ebenfalls die Kunst des Stimmens auf Nauers hohem Niveau weiterführt.
Nach seiner Pensionierung blieb das Arbeiten mit den Örgelis weiterhin sein liebstes Hobby. So blühte er nochmals auf, als sich sein Sohn, der bekannte Akkordeonist Martin Nauer jun., sich ebenfalls für diesen Beruf zu interessieren begann.
Nauers Wirken und Einfluss als Musiker und als Lehrmeister
Hinter Nauers bescheidener Erscheinung war ein musikalischer Grossmeister verborgen, ein Genie mit dem sog. absoluten Musikgehör. Während all den Jahren als sein „Schüler“, war ich jedes Mal baff, wie der 85jährige Nauer, der weder Noten las noch schrieb, ohne Anstrengung, äusserst schwierige und komplexe Stücke aus dem Gedächtnis holte. Daneben überraschte er durch sein harmonisch raffiniertes, ausbalanciertes und abwechslungsreiches Begleitspiel. Das Spiel auf seiner Nussbaumer Orgel war lieblich und er hatte den seltenen Sinn, innerhalb eines Stückes den grossen musikalischen Bogen zu spannen. Ihm war wichtig, dass seine Musik direkt ins Herz schloff. Sein Publikum wurde still. Er erreichte die Zuhörer nicht durch Technik sondern durch seinen schönen musikalischen Vortrag. Gerne spielte er auch Märsche mit einem gewissen majestätischen Ton, virtuos die schwierigen Tänze von Ernst Inglin oder auch die traditionellen Stücke in „g’hörig vaterländischer Manier“ (Zitat Nauer!).In jeder Lektion musste ich feststellen, dass ich im Vergleich zu ihm nichts weiss und nichts höre… und ich war jedes Mal gerührt über Nauers Geduld und Wohlgesonnenheit, mir den schwierigen Tanz mitzugeben.
Mozart
Musikalisch bewegte sich Nauer auf einer „höheren Ebene“. Dies erklärt wahrscheinlich seine grosse Bewunderung für die Musik Mozarts. Keine andere Musik vermochte Nauer so zu faszinieren. Sein Leben lang hörte er Mozarts Werke, kannte jede Stelle inkl. all ihrer Register und wusste jeden Harmoniewechsel und dessen Notensatz aus dem Gehör zu zitieren. Nie wäre es aber dem genügsamen Nauer in den Sinn gekommen, ein Symphoniekonzert Mozarts zu besuchen. Es war seine Frau, die die musikalischen Interessen ihres Mannes immer teilte, und ihn mit Mozarts Aufnahmen versorgte. Ausser ein paar Bildern, die an den Wänden seiner Werkstatt geheftet waren, verriet diese Leidenschaft nichts.
Nauer hatte über die Jahre einige Schüler. Alois Lüönd und Seebi Schmidig, um u.a. zwei Ausnahmekönner zu nennen, spielen heute mit Erfolg Schmidig/Stump-Tänze in der Öffentlichkeit auf.
Nauers grösste Freude und der Lohn seiner Lebenstätigkeit war schliesslich, dass sich sein Enkel Armin Heinzer mit 13 Jahren entschloss, die Tänze von ihm zu lernen. Dieser, ebenfalls mit einem grossen musikalischen Talent ausgestattet, lernte das gesamte Repertoire im Nu.
Mit Martin Nauer sen. ist einer der ganz Grossen der Schweizer Ländlermusik gegangen. Er verstarb am 2. September 2007 im Alter von 89 Jahren in Schwyz.
Cyrill Schläpfer, September 2007
Diskografie und Filmografie:
1945 | mit Balz Schidig, 14 Tänze auf Schellack Platte |
1969 | „Schwyzerörgeli im Originalstil um die Jahrhundertwende“; mit Kari Nauer und Franz Gisler, 8 Tänze, Coloraphon auf 2 Singles und 1 EP; CN 1115, CN 1116, CN EP 5095 |
1977 | Schwyzerörgeliduett Martin Nauer sen. „Schwyzerörgeli uf 3 Arte“; mit Alois Lüönd und Ueli Mooser, Diverse Interpreten, LP Pick |
1988 | Martin Nauer zum 70. Geburtstag, 24 Tänze MC Privatedition |
1993 | Seebi Schmidig zum 40. Geburtstag, Diverse Interpreten, PCD 7297 |
1993 | UR-Musig, Soundtrack zum Film, Diverse Interpreten, Muggetanz, Doppel-CD/MC CSR 91512 |
1995 | UR-Musig Vol.2, Diverse Interpreten, 2 Tänze, CSR CD/MC 91542 |
1995 | „Dr Örgelidokter“, 18 Tänze aufg. 1991, mit Seebi Schmidig u. Ueli Mooser, CSR CD/MC 91572 |
1993 | Dokumentarfilm: UR-Musig, Muggetanz, CSR Film |
1996 | Dokumentarfilm: Örgelidokter M.Nauer, Magenta Film |
Musik-Veröffentlichungen bei CSR Records :
Dr Örgelidokter | 18 Tänze aufgenommen 1991, mit Seebi Schmidig u. Ueli Mooser |
UR-Musig | UR-Musig, Soundtrack zum Film, Diverse Interpreten, Muggetanz, |
UR-Musig Vol.2 | UR-Musig Vol.2, Diverse Interpreten |
Traktor III Vevey | Kompilation, diverse Interpreten |